Pressespiegel

Rhythmus der Natur

Eine riesig unendliche Meeresober-
fläche, schillernd im Lichte der Sonne,
tausendfach bewegt über regungsloser
Tiefe und Weite. Es ist, als würde Mutter
Meer uns selbst zurufen: schau, so bin
ich, so erschein ich Dir, so vereinige ich
in mir grösste Gegensätze selbst
verständlich.

Nebelformationen, zu Wolken verdichtet,
vom Winde bewegt, sind festgehalten
worden. Ein ganz kurzer Moment steht
schwebend da, wie für die Ewigkeit fixier.
Der Anblick dieser luftigen Gebilde lässt
uns selbst leicht werden, gibt Lust, uns zu
verwandeln, auf Wanderschaft zu gehen.

Vor uns eine weite Blumenwiese,
feingliedrig, stark und zerbrechlich
strahlend, energisch feiert sich selbst,
im Wind. Es ist, als würden Blumen eine
wunderbare, geheimnisvolle Stille
beleben.

Denn: ein Künstler war da, hat es für
uns umgesetzt; ein Holzschneider, der
wie ein Zeichner zu fliegen versteht.
Was ich hier zu beschreiben versuche,
sind eindrückliche Bilder, auf kost-
barem Papier verwirklicht, in farblichen
Zwischentönen, jedes für sich so
selbstverständlich, so vertraut, dass wir
Betrachter leicht vergessen könnten,
dass da jemand gewesen sein muss,
der uns dieses Erlebnis hingezaubert
hat...!

Martin Thönen, der in Bern wohnt und
wirkt und sich auch gerne ins waadt-
ländische Huémoz zurückzieht, inzwis-
chen mit hervorragendem Ruf weit
über die regionalen Grenzen hinaus, ist
der Kunstschaffende, ein Meister seines
Faches. Seine Original-Holzschnitte, die
oft so wirken, als hätte sie ihr Ersteller
mit graziler Leichtigkeit, mit sicherem
kompositorischem Gefühl schnell
hingekriegt, so ist die,Wirklichkeit
dahinter doch auch recht anders:

Mit viel Geduld musste für jede Farbe
ein eigener Druckstock geschnitten
werden, galt es vorauszuspüren, wie
beim Übereinanderdrucken die viel-
fältigen Farb- und Formnüancen zu-
sammenspielen würden.

Über all die Jahre hinweg habe ich
mich öfters gefragt, was eigentlich das
Geheimnis von Martin Thönens Kunst
sei, wieso sie so grundehrlich, so über-
zeugend, ohne Wenn und Aber, in ihrer
Ausstrahlung wirkt.

Ich glaube, eine wesentliche Lösung
dieses Rätsels lässt sich so erklären,
dass er ein Mensch ist, der gar nicht
anders kann, als sich selbst treu zu
bleiben. So wie er in jeder Begegnung
mit Menschen voll da ist, ganz in der
Kommunikation mit seinem Gegen-
über, so macht er es auch mit dem
jeweiligen Thema, dem er sich als
Künstler öffnet: Er wird sozusagen
selbst zur Wolke, zum Meer, zur
Blumenwiese, während er sich mit
ihnen auseinandersetzt, und deshalb
wirkt es dann auch so auf uns, als
würde das Meer selbst, die Wiese in
Person sich im Bilde darstellen:

Schau, so bin ich, das ist es, was ich
ausstrahle. Thönens Subjektivität ver-
schmilzt geradezu mit seinem Gegen-
über, und deshalb wirken seine Bilder
auch objektiv korrekt, obschon sie
zugleich ganz abstrakt komponiert
worden sind und sehr wohl auch mit
Thönens seelischem Befinden zu tun
haben:

Liebe für Beständigkeit ist gepaart mit
ständig erneuerter Lust am Entdecken
und Improvisieren, Sinn für Perfektion,
sauberes Handwerk verbindet sich mit
Freude am Individualismus, Luftiges
sucht Verankerung in der Tiefe,
temperamentvolle Spontaneität
verwirklicht sich in meditativer Stille und
Zeitlosigkeit.

Für mich und viele im weiten Kreise der
Sammler von Thönens Werken steht
fest: Diese Holzschnitte sind nicht nur
eine Augenweide, sie sind auch
sichere künstlerische Werte.

Marc Kuhn